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Jugendforum hält Rede anlässlich des Volkstrauertages

Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten der beiden Weltkriege sowie der Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft fand anlässlich des diesjährigen Volkstrauertages am Sonntag, 16. November, eine Gedenkstunde in der Trauerhalle mit anschließender Kranzniederlegung am Ehrenmal des Alten Friedhofes in Neu- Isenburg, statt. Zur Veranstaltung haben der Sozialverband VdK Ortsverband Neu-Isenburg, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und die Stadt Neu-Isenburg eingeladen. Auch das Jugendforum Neu-Isenburg hat sich an der Gedenkveranstaltung beteiligt. In ihrem Beitrag machten die Jugendlichen deutlich, dass Erinnerung, Frieden und Verantwortung Themen sind, die auch junge Menschen bewegen. Damit zeigte das Jugendforum, dass das Gedenken kein Ritual der Vergangenheit ist, sondern eine Aufgabe, die alle Generationen verbindet. 

Die Rede, die die Jugendlichen gehalten haben, wird hier veröffentlicht:  

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist für uns eine große Ehre an diesem so wichtigen Tag hier zu sein und diese Rede halten zu dürfen. Wir haben uns zu Beginn des Schreibens etwas schwer getan, weil der Volkstrauertag eine so wichtige und gigantische Bedeutung mit sich bringt, dass wir nicht das Gefühl haben der Schicksale all dieser Opfer, denen wir heute gedenken, auch nur annähernd gerecht werden zu können. Dennoch ist es uns, als Jugend von Neu-Isenburg ein großes Anliegen unsere Sicht, Sorgen und Gedanken zu teilen, in der Hoffnung ein kleines bisschen dazu beizutragen, in Zukunft die Zahl der Opfer und die Grausamkeiten die sie erleben zu mindern.

Dieses Jahr steht der Volkstrauertag im Zeichen des achtzigjährigen Endes des Zweiten Weltkrieges. Für die meisten von uns Jugendlichen sind die einzigen Berührungspunkte damit der Geschichtsunterricht, Filme, Bücher oder manchmal die Geschichten unserer Großeltern. Wir können uns kaum vorstellen wie viel Leid, Schmerz und Verlust die Millionen Opfer damals erlebt haben.

Im Zweiten Weltkrieg sind über 65 Millionen Menschen ums Leben gekommen. Viele davon ermordet oder gefoltert. Darunter waren auch Millionen Kinder und Jugendliche. Kinder und Jugendliche wie wir, die hier heute stehen. Kinder und Jugendliche wie wir, die nicht in den Kindergarten, in die Schule oder in Vereine gehen konnten. Kinder und Jugendliche wie wir, die kein sicheres zu Hause hatten.
Und Kinder und Jugendliche wie wir, deren größte Sorge nicht die anstehende Klausur war, sondern ob ihr zu Hause morgen noch da steht, wo sie es das letzte Mal gesehen haben oder ob sie und ihr Liebsten überhaupt den nächsten Tag überleben.

Das wahrscheinlich berühmteste Schicksal einer Jugendlichen aus dieser Zeit ist von Anne Frank. In ihrem Tagebuch schrieb die damals 13-jährige ihre Gedanken und Erlebnisse nieder. Ungefähr zwei Jahre war sie mit ihrer Familie und weiteren Menschen gezwungen sich auf engstem Raum in einem Hinterhaus zu verstecken, um nicht von den Nazis deportiert zu werden. 2 Jahre. Für die meisten von uns wären zwei Tage Hausarrest schon unerträglich.
Am 04. August 1944 wird das Versteck entdeckt und all seine Schutz suchenden werden Opfer des Holocaust. Opfern wie Anne Frank, die sich verstecken mussten, die von ihrer Familie getrennt wurden und die im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren haben, gedenken wir heute. Aber auch an die Menschen, die nicht im Holocaust, sondern generell im Zweiten Weltkrieg gefallen sind, möchten wir denken. Die Millionen Soldaten die in den Krieg ziehen und ihre Familien und ihr Leben zurücklassen mussten, um ihr Land zu verteidigen.

Margot Friedländer sagte: „Die jungen Menschen dürfen nicht vergessen, was war.“(Zitat Ende).
Wir können die Geschichte und das damals Geschehene nicht verändern oder wiedergutmachen, aber das Mindeste, was wir tun sollten, ist an die Schicksale all dieser Toten zu erinnern und vor allem dafür zu sorgen, dass das Ganze sich nie wiederholt. Um es mit Margot Friedländers Worten zu sagen: „Erinnern allein reicht nicht. Was damals geschah, darf nie wieder geschehen.“

Der Volkstrauertag ist ein Tag, der vielmehr thematisiert werden sollte. Die meisten von uns haben in der Schule noch nie davon gehört. Und wenn dann in einem einfachen Nebensatz, im Rahmen des Holocausts im Geschichtsunterricht. Aber dieser Tag ist so wichtig, eben weil er nicht nur den 6 Millionen Juden gedenkt, sondern allen Opfern deren Leben vom Kriegen genommen wurde. Verstehen Sie uns bitte nicht falsch, Tage wie der 27. Januar sind unbedingt nötig, das ist keine Frage, aber der Volkstrauertag bietet auch die Möglichkeit gefallenen Soldaten, Flüchtlingen und allen Menschen, die mehrheitlich unter schrecklichen Umständen gestorben sind, zu gedenken.
Weil, das sind all diese Opfer in erster Linie:

Menschen.
Familie.
Freunde.
Verwandte.
Geliebte Menschen.

Wie schon erwähnt: Unsere Generation trägt nicht die Schuld an vergangenen Kriegen, ist aber dafür verantwortlich, dass so etwas nie wieder passiert. Und nie wieder ist jetzt, oder?
Das wird immer so gesagt aber wie kann nie wieder jetzt sein, wenn im Nahen Osten Millionen Menschen hungern, flüchten und Tag für Tag um ihr Überleben kämpfen müssen. Wenn seit fast 4 Jahren in der Ukraine wieder Krieg herrscht und die Menschen dort in Angst leben. Nur weil Deutschland bis jetzt in die Kriege nicht aktiv involviert ist, bedeutet das nicht das wir wegschauen dürfen. Nicht betroffen zu sein bedeutet nicht, nicht beteiligt zu sein. Kriege und Verletzungen der Menschenrechte dürfen kein Alltag werden, denn wenn es zum Alltag wird, sind wir plötzlich wieder an dem Punkt, vor dem immer gewarnt wird und lassen es zu, dass die Geschichte sich wiederholt, obwohl wir doch am 27. Januar die Fahne auf halbmast gehangen
haben und am Volkstrauertag zum Denkmal gekommen sind.

Gedenken ist wichtig aber wir müssen auch etwas tun! Wir dürfen nicht wegschauen und wir dürfen es nicht so weit kommen lassen wie in vergangenen Kriegen.

Aktuell müssen die Menschen in der Ukraine dauerhaft um ihr Leben bangen. Viele haben kein zu Hause mehr oder sind in den letzten Jahren in andere Länder geflohen.
Junge Männer und Frauen riskieren ihr eigenes Leben um ihr Land und ihre Mitmenschen zu schützen. Laut Aufzeichnungen gibt es bis jetzt circa 14.400 Zivilopfer, darunter mindestens 740 Kinder und Tausende Soldaten, die den Krieg nicht überlebt haben.
Im Gaza-Streifen ist es kein Stück besser. Nicht nur an der Front, sondern in Städten, in Schulen und im Alltag der Menschen hinterlässt der Krieg Trümmerhaufen, Schrecken, Wunden und Verluste. 2 Jahre. Solange leiden die Bürger von Israel und Palästina schon. Sie kämpfen um ihr eigenes Leben und das ihrer Liebsten. In dieser kurzen Zeit gab es über 65.000 Tote und circa 164.000 Verletzte.
Trotz der gewaltigen Opferzahlen geben die Menschen dort nicht auf. Und wenn wir ehrlich sind, wäre das eigentlich am nachvollziehbarsten. Aufgeben. Denn solcher Terror zieht mehr als nur äußerliche Verletzungen mit sich. Nicht aufzugeben bedeutet jeden Tag wieder aufzustehen und einen Grund zu finden, sich nicht geschlagen zu geben. Es bedeutet nicht nachzugeben, egal wie schwach man ist und wie wenig Kraft und Lebensgeister einem noch übrig bleiben.

Egal welche politische Sicht man auf diese Konflikte hat, die Kriegsopfer, aus egal welchem Land, sollten immer im Vordergrund stehen und es sollte nicht verharmlost werden, was diese Menschen seit Monaten und Jahren durchleben.
Es darf kein Alltag werden!

Menschen sterben. Und doch schaffen wir es unseren Alltag aufrechtzuerhalten und es zu verdrängen. Aber oft ist es nicht die Gleichgültigkeit, die uns vergessen lässt was in unserer Nähe passiert, denn egal wie tief in uns, wir alle empfinden Mitgefühl und Empathie für diese Opfer, sondern eine Art Selbstschutz. Wir sagen uns, dass es uns nicht betrifft, wenn wir es nicht zu nah an uns heranlassen. Wir reden uns ein, dass es gar nicht so schlimm sei, solange wir es schaffen den Bildern und Zahlen aus dem Weg zu gehen. Abgesehen davon das es falsch ist so zu denken, weil wegschauen der größte Fehler ist, den wir begehen können, wird es auch immer schwieriger sich nicht mit der Thematik zu beschäftigen.

In Deutschland wird über Aufrüstung und die damit einhergehende Frage des Wehrdienstes gesprochen und diskutiert. Seit 2011 ist die Wehrpflicht ausgesetzt worden und jetzt kann es sein, dass unsere Klassenkameraden oder wir selbst, nicht frei nach der Schule entscheiden können, was wir machen möchten, sondern im Ernstfall sogar an die Front müssen. Diese Debatte bereitet uns große Ängste und Sorgen. Denn noch scheint diese Vorstellung recht realitätsfern, aber trotzdem fragen wir uns: Was, wenn es doch schneller geht als gedacht? Was, wenn uns die Entscheidung über unser Schicksal abgenommen wird? Was, wenn wir uns in unseren jungen Jahren nicht nur mit dem Krieg aus den Nachrichten, sondern mit einem der in unserem eigenen Leben spielt, auseinandersetzten müssen? Was würde mit unseren Freunden und unseren Mitmenschen, die wir zurücklassen passieren? Und was, wenn der Geschichtsunterricht zum Leben erwacht und es plötzlich möglich ist das wir selbst Opfer werden?

Wir kennen oft noch Geschichten von unseren Vätern die damals einige Monate bei der Bundeswehr gedient haben und die Geschichten sind oft nicht so dramatisch und blutrünstig wie wir das aus Filmen oder Geschichtsbüchern kennen. Aber man darf den großen Unterschied nicht vergessen. Anders als damals gibt es heute Krieg in Europa. Wir verstehen, dass wir nicht Schutzlos bleiben können während viele Länder so viel aufrüsten wie schon lange nicht mehr, aber trotzdem geht es um unsere Zukunft und unser Leben.

Doch gerade, wenn wir auf all das blicken, dürfen wir nicht in Ohnmacht verfallen. Wir sind nicht die Generation der Schuld, aber wir sind die Generation der Verantwortung. Verantwortung, dass Worte nie wieder zu Waffen werden, dass wir nie wieder Gleichgültigkeit herrschen lassen und dort wegsehen, wo es so an Solidarität mangelt. Es liegt an uns, in einer Welt, die lauter wird in ihrem Hass und leiser in ihrem Mitgefühl, die Stimme zu erheben – gegen das Vergessen, gegen die Verharmlosung, gegen das Wegsehen.
Erinnern heißt, wach bleiben. Es ist kein stummes Zurückschauen, sondern ein Auftrag, der unser Pflichtbewusstsein beansprucht. Die Stimmen der Zeitzeugen werden leiser, doch ihre Geschichten dürfen nicht verstummen. Es ist unsere Aufgabe, sie weiterzutragen.

Für viele von uns ist es unmöglich zu begreifen was da geschehen ist. Doch das sind nicht nur Erzählungen aus unseren Geschichtsbüchern. Es waren Menschen – keine Zahlen, keine Namen auf Gedenksteinen, sondern Leben. Sie verdienen, dass wir ihnen unsere Stimme leihen und zumindest einen Bruchteil ihrer Geschichten hinaus in die Welt tragen.
Heute, in einer Welt, die sich so oft und so schnell verändert, dürfen wir nicht vergessen, wie sehr wir einander brauchen. Die Generationen vor uns tragen die Erinnerungen, und wir tragen die Zukunft.

Deshalb fordern wir:
Wir fordern mehr Menschlichkeit – in Worten, im Handeln und im Denken.
Wir fordern, dass Mitgefühl wieder stärker wird als Gleichgültigkeit.
Wir fordern Respekt – vor jedem Leben, unabhängig von Herkunft, Glauben oder Meinung.
Und wir fordern, dass Frieden nicht nur bewahrt, sondern jeden Tag aufs Neue geschaffen wird – durch uns alle. Es darf nicht nur darüber gesprochen und aufgeklärt werden. Wir alle müssen den Frieden Leben.
Trotz allem bleibt Hoffnung. Hoffnung, dass wir, den Mut haben hinzusehen, das Schweigen zu brechen und Menschlichkeit zu zeigen. Wenn wir uns erinnern, wenn wir hinsehen, wenn wir handeln, dann tragen wir dazu bei, dass „Nie wieder“ nicht bloß Mahnung bleibt, sondern Wirklichkeit werden kann.
Und vielleicht ist das die größte Aufgabe unserer Zeit: nicht nur zu gedenken, sondern zu agieren – mit Herz, mit Haltung und mit der festen Überzeugung, dass eine bessere Zukunft möglich ist.

Eine Zukunft, in der wir sagen können: Wir haben
gelernt. Wir haben erinnert. Und wir haben gehandelt.

 

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